Deutsch
Die Briefe, die dir Freunde schreiben; der schneeweiße
Mond, der so lange Zeit stehen bleibt hinter
dem Vorhang mit den Engeln in der Bibliothek;
die Baluster, zu denen die Tauben herkommen, um sich turtelnd zu paaren; die Feigenkakteen,
glühend, die erdige und scharlachrote Töne
der Abenddämmerung zurückwerfen: Die Schönheit dringt mit dir in die Ruhe des Seins, zur Sonne hin,
wo der Zufall will, daß Klageweiber vorbeiziehen,
wie rote Kamee über deinem Epitaph
(Aus Bandera blanca (Weisse Fahne), 1994)
* * *
Großmutter Magdalena
Ein weiterer Winter hat dein Fortsein nicht gelöscht.
Der Sonnenuntergang wird wiederkommen, als
wärst du noch dieselbe müde Gestalt
die sich von einem Lächeln betören läßt
wenn man sich küßt, und diese Hand,
die eine Kerze in der Vorratskammer entfacht,
und mühsam Flaschen oder blutrote Kirschen hervorkramt
oder die so entsetzlich süße Marmelade.
Wir leben solange jemand auf der Veranda ist,
die wir einst unbeschadet aufrichteten gegen die Zeit; und unser Morgen ist die Gegenwart in Augen
die ruhig das Abendlicht betrachten.
(Aus Bandera Blanca (Weisse Fahne), 1994)
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Vom Heiligtum La Consolació aus
Ich trete in den leeren Hof. Lichtspiele, Echos verkünden die Abenddämmerung. Von nun an geht alles viel weniger unter die Haut. Ich suche mit den Augen den Brandherd, und den Jargon der Ebene. Dünenformen und mächtige Wolkengetüme
bevölkern den Himmel, unter dem wir einst glücklich waren.
Ich denke an deine Taille wie frisches Gras, an die Ferne eines autarken Archipels. Wir werden alt, lahm und unbeholfen, meine Liebe.
(Aus El batec de les pedres (Das Pochen der Steine), 1996)
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Stare
Der Abend ist verliebt in diesen Ort. Da ist ein Hof
voller Vogelkäfige und Kreidezeichnungen
von Sonnen und grossen Segelschiffen.
Einem Gebet gleich brachte mir Mutter sonntags
mit Zitronensaft Glanz ins Haar.
Ich trug damals tausend Seesterne im Mund.
In den Gassen kam der April ohne Geranien.
Als die Hunde heulten, vermissten wir die Toten.
Die Qualen der Hölle sind Teil des Panoramas
und der klarsten Dialektik dieser Tage.
Sollten wir sie heraufbeschwören, hält der November
genug Drahtgeflecht und liturgisches Beiwerk bereit.
Unsere paradiesische Weiden sucht ein Wolkenbruch heim.
Die Starenschwärme erinnern mich an die allegorischen
Himmel von Bosch und an das literarische Thema
der Vergänglichkeit des Lebens und der Träume.
Sie erinnern mich an die langen Zöpfe der ersten Liebe,
an die Rosen, die auf den Gräbern der Besiegten welkten
und an meine Kindheit voller Harlekins und Schrot.
(Aus Cap de cantó (Eckstein), 2004)
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Sonnenwende
Die Worte sind Hirschkühe, die den Tod fliehen
Sie frieren und haben Dämmerung im Blick
Lilafarben wie das Meer auf Menorca
Ich bin nie mehr zurückgekehrt von diesen Horizonten
der Musik, wo Priesterinnen feurig barfuß tanzten
berauscht von königlichen Rosendüften
Von einem Korsarenschiff aus dächte ich an ihre Küsse
erfände eine Umrahmung mit Oboe
Worte sind nicht nur Labyrinthe, sondern auch flüchtig,
trinken Wasser im letzten Abendlicht
werden zu Göttinnen mit Blumen geschmückt
Wollen wachsen wie Flecken von Rost und Unruhe
Während der Wind sein malvenrosa Profil zeigt
ziehen Schmugler über die Dünen der Abwesenheit
Herr bin ich der Traurigkeit und eines alten Hunds
Was mich erwartet findet sich auf keiner Karte
(Aus Cap de cantó (Eckstein), 2004)
* * *
Der Winter und die Schönheit
Nachdem ich mich fromm niederkniete wie es
Fra Angelico tat bevor er den klaren Himmel
des alten Florenz malte, fand ich die Schönheit nicht mehr.
Auch nicht in den so vollkommenen griechischen Tempeln
oder an den weiten Stränden der Literatur.
Für immer unerreichbar in die Ferne gerückt
für jeden, der zurückwill; die rosigen Blüten der Mandelbäume erschauern, als ich ihren Namen schreibe.
(Aus Cap de cantó (Eckstein), 2004)
Aus dem Katalanischen übersetzt von Theres Moser ©