3. Alemany
Betrachtet ein Wissenschaftler einen Stein,
sieht er nicht nur einen festen Gegenstand,
er sieht eine Verbindung von Molekülen,
die dreidimensionale Struktur der Silikate,
die gepresste Anhäufung von Foraminiferen.
Betrachtet er einen Baum,
kennt er die Ursache seiner Farben,
die räumliche Verteilung der Chlorophyllatome,
die asymmetrischen Karbonketten, die ihm Leben verleihen.
Als ich ein Kind war und wissen wollte, warum
die Steine hart sind,
der Wein sich in Essig verwandelt,
die Sobrassadawurst weiß wird,
ahnte ich nichts von der Schönheit der Symbole,
der schönen Atmung des Wissens,
und dass der Blick ein Schöpfungsakt sein kann.
Aus der Natur der Dinge
gewinne die Freude am Leben.
(Aus: Iniciació a la Química [Einführung in die Chemie], 1977)
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Der Mythos von Sysiphos
Der Mythos von Sysiphos stellt nicht die Vergeblichkeit dar,
keine Windung der Helix ist die vorige.
Die Alten schenkten uns schöne, wohltuende Bilder
wie die von der reinigenden Wirkung des Feuers
- obwohl sie von Mikroben nichts wussten -
darunter auch jenes vieldeutige,
aber wir gaben ihm nur eine Bedeutung,
die einfachste für das Volk:
schnell den Untergang, den Zusammenbruch zu suchen,
nur ein Mal den Stein hochzurollen.
Ungeheuer war der Schmerz von Pasteur,
als er, auf Vorschlag, Bitte und Druck
seines Lehrers Dumas
Paris verließ, in Richtung einer dunklen Provinz,
um die Krankheit der Seidenraupen zu erforschen,
angesichts des Schadens, den sie im Körperhaushalt der Tiere anrichtete:
“Erbarmt euch doch meiner,
bedenkt, dass ich noch nie
eine einzige dieser Raupen gesehen habe”, antwortete er.
Mittellos, von Kälte und Erwartung umgeben,
dachte er zärtlich an seine Untersuchung der Disymmetrien,
die Debatte um die spontane Vermehrung,
seine Studie über die Mikroorganismen im Wein ...
Auch uns schmerzt die Erinnerung...
Aber dort, weit weg von allem, kam er zu sich.
Jene Raupen waren krank aufgrund von
Mikroorganismen,
denjenigen ganz ähnlich, die er in Paris nicht zurücklassen wollte,
nur dass sie sich nicht von pflanzlichen Säften nährten,
sondern in lebendigen Organismen existierten:
das war die Ursache der infektiösen Krankheiten.
“Inmitten der Kochtöpfe ist der Herr zugegen.”
Und wir weigern uns
zuzulassen, dass Wärme unser Fleisch belohnt.
“Ein menschliches Wesen taugt nur für ein einziges Leben,
der Stein muss mit Macht zurückgehalten werden”,
sagt der gesunde Menschenverstand.
Aber nie sind es dieselben Drosseln,
die im Winter ans Mittelmeer kommen.
Der Ungläubige will die Fruchtbarkeit nicht verstehen.
Die Abgeschiedenheit vernichtet die Sehkraft.
Die Gelehrtheit verhindert das Begreifen.
(Aus: Llibre de Mercuri [Buch vom Quecksilber], 1981)
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Ternär
So wie das Schwarz freudig das Licht aufnimmt,
in seinen Orbitalen es umfasst,
mit Elektronensprüngen, wärmereich,
so wie das Blau der Bindung von Metall
es wirkungsvoll mit Leichtigkeit entfärbt,
so singt Natur in jedem Chromophor.
Aminosäuren unsres eignen Fleischs
mit dem Metall in Eintracht fest umarmt,
Synapsen, die erregt sind, lieben Kalk,
Fabrik im Menschen, durchdachte Natur,
errichtet ist euch eine stille Welt,
große Skulpturen, Bronze rein mental,
ein neues Sprechen, das zitternd benennt
ternäre Chrome, unser Angesicht.
(Aus: Ternari [Ternär], 1986)
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Einführung in die Chemie
Die Straße der Fratzen
In der sogenannten Straße der Fratzen
weht der Geruch von zertretener Myrte.
Aus den Steinen treten Gesichter hervor,
immer zwei oder drei symbolisch vereint: freudige Ehrung des Namens,
dunkler Sinn der Genauigkeit,
windet sich die Schlange im Alabaster,
verflucht wie diejenige Evas
oder belebend wie bei Hermes Trismegistos,
dem dreifachen Meister,
und zu den Sternen des Himmels fügt das Wappen
drei halbe Monde.
Der Löwe wacht und sein Maul geifert Licht.
Natur weiß, was der Stein verschweigt.
(Aus: Al·lotropies [Allotropien], 1996)
Aus dem Katalanischen übersetzt von Claudia Kalász ©.