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Isabel-Clara Simó
1943-2020

3. Alemany [Rosina, My Darling]

Rosina, darling,

Ich werde es dir ohne Umschweife sagen: Ich verlasse dich. Ich habe mir so oft diesen Brief durch den Kopf gehen lassen, mir so sehr überlegt, wie ich es dir sagen könnte (ich werde versuchen, dass sie mich versteht, vermeiden, sie zu verletzen, ich werde entschlossen und zugleich behutsam sein, etc., etc.), so dass ich mich schließlich entschieden habe, es geradeheraus zu sagen. Also wie du siehst, verlasse ich dich. Alles verlasse ich: das Haus, die Arbeit und dich. Und noch klarer: Ich verlasse dich wegen einer anderen. Ja, doch: genau das, was du gerade denkst: wie ein Schuft, wie ein verdammtes Arschloch, wie ein Schwein, das du in einem schwachen Moment vor dreizehn Jahren geheiratet hast. Ich bin all das und noch viel mehr: unverantwortlich, unreif, ein Verrückter, der in die Anstalt gehörte. Oder ins Gefängnis. Alles was du willst, Süße.

An den Schultern, an denen du die Tränen der verlassenen Frau vergießen wirst, findest du gewiss alles Verständnis der Welt. Was sie mir nicht verzeihen werden - und letztlich auch dir nicht – ist die Tatsache, dass ich die Arbeit aufgegeben habe. Das werden die dir verbliebenen Freunde, die um dich zu trösten sagen, so etwas passiere doch jeden Tag, allerdings nicht fassen können; dass ich nämlich die Architektur mit dem damit verbundenen Prestige, dem Geld und der Ver-ant-wor-tung hinschmeiße (das ist von nun an, sei darauf gefasst, das Wort, das du am öftesten ertragen wirst müssen, und glaube mir, es tut mir leid), ist einfach nicht normal, nicht logisch, und sie werden dich aus den Augenwinkeln ansehen, ob das nicht etwa ansteckend sein könnte. Vaginal, will ich sagen.

Ich verzichte von vornherein darauf, dir die Beweggründe verständlich zu machen. Du besitzt die Fähigkeit, ein Out in einem Fußballspiel, mathematische Ableitungen oder das Kino von Bertolucci zu verstehen, die von dir erwähnten drei Lieblingsbeispiele, wenn du Schlichtheit vorgabst, Darling.

Nur damit du siehst, dass alles zusammen keinem plötzlichen Impuls entspringt – darüber solltest du dir besser keine Illusionen machen, denn es handelt sich nicht um einen unbesonnenen Entschluss, das kann ich dir schwören -, habe ich auf einen spektakuläreren Abgang verzichtet, der mir wirklich sehr gefallen hätte. Mir lief beim bloßen Gedanken an eine mit Nachdruck zugeknallte Tür das Wasser im Mund zusammen, aber wie du siehst, habe ich darauf verzichtet. Und das tat ich, um diesem Impuls, die Tür zuzuknallen zu widerstehen. Die Geste war zu theatralisch und somit einen falschen Beigeschmack, der dich zu neuen Illusionen über die Wiedererlangung meiner Vernunft veranlasst hätte. Zum Beispiel wollte ich Bücher in der Badewanne verbrennen, und zwar die gesamte Bibliothek. Decke und Wände hätten dann toll ausgesehen. Danach wollte ich sämtliche Platten zerstückeln, die CDs in den elektrischen Toaster schieben, und mit der großen Schere wollte ich dir das Geschenk meiner gesamten in Streifen geschnittenen Kleidung mitten im Wohnzimmer hinterlassen. Zuletzt wollte ich zur Krönung in den offenen Kamin scheißen (ich hätte nicht den Mut aufgebracht, dir dergleichen auf dem so sorgfältig ausgewählten, neuen Bettüberwurf zu deponieren, Liebling).

Also, wie du siehst, habe ich darauf verzichtet, und ich bedauere es wahrhaftig. Du wirst mir doch zustimmen, dass dieser Abgang viel sauberer, schlagkräftiger und reinigender gewesen wäre, oder? Aber... Deine Reaktion wäre genau so abgelaufen, wie ich sie nun aufzähle: Zuerst Wut und Empörung, Anrufe an die engsten Freunde, um ihnen meine Wahnsinnstat zu berichten, während Tränen die erröteten Wangen hinunter rinnen. Danach hättest du es so gelassen, wie es war, um es herzuzeigen. Ich kann mir dich perfekt vorstellen, wie du mit dem Arm auf meine Überreste hinzeigst – auf die spirituellen und eschatologischen – und das Spektakel genießt. Darauf folgt die sanfte Phase: Der Arme ist ausgerastet, er braucht mich und auch diesen so namhaften Psychiater. Du würdest alles zusammenräumen und hastig in der Buchhandlung und im Plattenladen die schauderhafte Leere auffüllen, die meine Leichtfertigkeit in deinem sorgfältig gestylten Heim zurückgelassen hätte. Und am Ende auch noch die wütende Suche durch Privatdetektive.

Nein, Süße, nein. Ich verzichte lieber auf das Spektakel, um dir das Fest zu verderben. Und, Hand aufs Herz, damit du dir keine falschen Hoffnungen machst. Es macht keinen Sinn, dich zu quälen, zumindest nicht über die Maßen. Ich empfinde keine Wut, keine Abneigung, keinen Hass dir gegenüber. Ich mache nur einfach Schluss.

Und glaube bloß nicht, dass Paquita der Grund dafür ist – Paquita ist der Name meiner neuen Lebensgefährtin, von der ich dir gleich berichten werde: Ich nehme auf mich, dass die Neugierde mehr zu bewegen vermag als die Ehre; sie war, wenn überhaupt, der Katalysator. Das Unbehagen hatte sich schon längst eingenistet, wahrscheinlich schon von meiner zartesten Kindheit an. Und nun kannst du schon den Spruch von der “fortschreitenden neurotischen Unreife mit gewiss angeborenen paranoiden Auswüchsen“ oder sonst ein Geschwätz loslassen, das dir gerade durch den Kopf geht (nebenbei bemerkt, ein bewundernswerter Kopf und es macht mir gar nichts aus, das zu sagen).

Nachdem ich also, wie gesagt, von vornherein auf eine Erklärung für das Zuknallen der Tür verzichtet habe – ein sibyllinischer, durch meine gute, fest verwurzelte Erziehung, die du wohl nur bestätigen kannst, gedämpfter Akt –, werde ich nur von den Auswirkungen berichten:

Ich habe das Büro aufgegeben, aber völlig geordnet und mit einem neuen, vorher sorgfältig ausgewählten Architekten als Leiter, und nun arbeite ich als Portier in einer Fabrik, von der ich dir, um dir keine weitere Spur zu geben, nicht verraten möchte, was sie herstellt. Diese Arbeit macht mir wirklich Spaß. Jedes Vergnügen, das du dir nur vorstellen kannst, ist nicht vergleichbar mit dem, das ich jeden Morgen empfinde, wenn ich meine Karte in die Stechuhr schiebe, die Lichter einschalte, die Maschinen in Gang bringe und mich mit einem Zahnstocher im Mund an meinen Tisch am Eingang setze. Wenn die Arbeiter hereinkommen und einige sagen: »He, Emili« oder »Jeden Tag lässt du die Sirene noch früher losgehen, Emili, du Arschloch.« oder so ähnlich, strahle ich eine so klare, so tiefe, so sichtbare Glückseligkeit aus, dass ich mich bemühen muss, nicht zu sabbern.

Die Paquita war vorher die Putzfrau in meinem Büro. Ich lernte sie vor sechs Monaten kennen, als ich einmal – du erinnerst dich vielleicht – die ganze Nacht mit jenen Plänen, die von vorn bis hinten durch eine unvorhergesehene Verfügung der Stadtverwaltung korrigiert werden mussten. Sie ist achtundzwanzig und Andalusierin. Sie ist die wunderbarste Frau der Welt, versteht es, die köstlichsten einfachen Gerichte zuzubereiten, von denen du nicht die geringste Ahnung hast – ihr Eintopf, scharf und deftig, ist großartig -, und sie singt beim Bügeln, vor allem Boleros. Wenn sie ...wir sind zwei Tränentropfen in einem Lied... fange ich wirklich zu weinen an. Sie möchte Kinder haben, viele Kinder. Sie kann weder lesen noch schreiben. Im Bett ist sie schüchtern, und niemals würde sie erlauben, dass ich sie beobachte, wenn sie sich im Bidet wäscht oder ins Klo pinkelt. Sie erwähnt die Regel mit Umschreibungen und wird sogar rot dabei. Und sie streicht mir über den Rücken, mit der flachen Hand und feuchten Augen – ein Blick von einer so tiefen Weiblichkeit, den ihr, die Befreiten, für immer verloren habt -, mit einer mir bislang unbekannten Zärtlichkeit. Sie näht mit Begeisterung und macht es häufig und sehr gut. Sie stützt die Füße auf die Stange zwischen den Stuhlbeinen, so dass ihre Knie in die Höhe stehen, und so, mit den zusammengepressten Knien beugt sie ihren Körper nach vorn, um die Näharbeit genau sehen zu können. Die Rundung ihrer Knie, während sie sich auf die Nadel konzentriert, ist ein Schauspiel reinster und raffiniertester Erotik. Und vollkommen unschuldig. Und jeden Morgen gibt sie mir einen Behälter mit Essen und eine Thermosflasche mit Milchkaffee. Diesen zur Mittagszeit aufzumachen gehört zu den reichsten, schönsten und wertvollsten Momenten, deren ich mich erfreuen kann. Das täglich, du.

Bevor ich zu dieser vorgegebenen Reise aufgebrochen bin, auf der du mich seit einem Monat vermutest, habe ich alles so zurückgelassen, wie es sich für einen Gentleman gehört. Ich habe dir genug Geld zurückgelassen und mir nicht einmal einen Cent mitgenommen. Du hast genug, um gut zu leben, und nachdem du sehr vif bist, wirst du es gewiss zu investieren wissen und alles super machen. Mich wirst du niemals wieder sehen. Also, mach’s gut. Und wenn du eines Tages die Scheidung willst, dann rede mit Castany, dem Anwalt, der dann alles in die Wege leiten wird. Ich habe ihm einen Stapel blanko unterschriebener Papiere hinterlassen. Weil ich mit jenem Leben, dem euren, schon abgeschlossen habe: Ich bin tot, Teuerste.

Dein Emili

PS: Paquita hat seidige Beine und warme Brüste aus Ambar. Im Vergleich zu ihr bist du einen Dreck wert, my darling.

Aus dem Katalanischen übersetzt von Theres Moser ©

Amb el suport de:

Institució de les Lletres Catalanes