3. Alemany [fragment AblanatanalbA]
Ich schlafe darüber ein, dass ich denke, dass Tomeu trotz seiner Unfreundlichkeit Recht hat und dass ich ihm vielleicht lauthals zustimmen sollte, aber gleich darauf beginne ich Luftschlösser zu bauen und verliere mich in meinen Gedanken. Ich träume gerne davon. Vor allem in den süßesten Momenten. Ich weiß, dass ich viel Glück gehabt habe, eine solche Portraitreihe in der Sonntagsausgabe unterzukriegen. Niemals vorher hat jemand über dieses Thema geschrieben und ich glaube auch nicht, dass in naher Zukunft die anderen Zeitungen uns nacheifern wollen. Sicher hat mir der gute oder schlechte Ruf, den ich mir verdient habe, indem ich mich all die Jahre an unpassenden Reportagen und Artikel in Zeitschriften aller Art geübt habe, geholfen, aber ich vermute, dass ich ohne die besondere Unterstützung des Chefredakteurs niemals vorangekommen wäre. Nie im Leben.
Ich habe wirklich nicht geahnt, dass der Vorschlag auf Zustimmung stoßen würde, bis ich ihm den Namen mitgeteilt habe, den ich mir für die Rubrik ausgedacht hatte: «Die Wortmenschen ». Ein bisschen grotesk, das gebe ich zu, aber aussagekräftig. Ich sprach ihn aus, Wortmenschen und nahm sein subtiles Nervenzucken wahr. Zack! Den kleinen Schlag, den man jedes Mal fühlt, wenn man den Spielfeldrand überschreitet. Ich kenne dieses leichte Zusammenzucken gut, so dass ich sofort wusste, dass der Chefredakteur einer von uns war und dass die Reihe der Wortmenschen etwas werden würde.
Wir wortverschlingenden Wesen wissen, dass die Welt voller unfehlbarer Leute ist, die für den Zauber von Wortspielen nichts übrig haben. Menschen, die das Großartige an einer sprachlichen Spitzfindigkeit, die einem die Seele zum Erschüttern bringt, nicht zu schätzen wissen. Die einen in einen Zustand krankhafter Erregung ganz ähnlich einer liebestollen Raserei versetzen. Leute, die nie verstehen werden, dass ein Anagramm oder ein Polysem oder ein Palindrom einen im tiefsten Innern bewegen können wie eines der Gedichte, die, wenn man nicht aufpasst, das Leben verändern können. Ein Kreuzweg des Lebens, gewissermaßen.
Das ist meine einzige Stärke. Ich wünsche mir, dass eine ganze Menge an Lesern jeden Sonntag an einen solchen Kreuzweg gelangt, dass sich eine Menge Leben langsam aber ganz unvermutet verändern. Dass die wenig Feinfühligen sich vor diesem Phänomen schließlich erschrecken und die Unfehlbaren wissen, was es heißt zum Gespött aller zu werden. Ich möchte die Buchstabenkrankheit verbreiten, die mich seit dem Zeitpunkt gefangen hält, als mein Vater uns, vor zwanzig Jahren, als Waisen zurückließ und Regale und Schränke wie ein Besessener leerte, Schubladen und Bücherschränke, Kommoden und die hintersten Winkel und alles, von dem er behauptete, es wäre seins, vor den fassungslosen Augen meiner Mutter aufhäufte, dann die Tür laut zuschlug, so laut, dass wir uns nie von dem Schlag erholt haben. Weg war er.
Ich war gerade 13 Jahre alt und musste nun allein zurechtkommen. Meine Mutter hatte genug damit zu tun, jede Nacht zur Ruhe zu kommen und von meinem Vater blieben mir nur seine Worte im Gedächtnis. Eine ganze Menge an Worten, die durch alle Zimmer des Hauses geisterten, die wie Ballons von falschen Decken herabhingen. Worte, die dort oben vergessen wurden, leicht zitternd, genau richtig reif, um sie zu ernten und aufzubrechen wie Früchte. Viele viele Worte, Kauderwelsch und Redewendungen, die manchmal grundlegende Geheimnisse zu umfassen schienen und manchmal wie Querelen von Marktschreiern klangen, wie clowneskes Geschwätz.
Sicherlich wird es auch nach drei Monaten, in denen meine Rubrik in der Sonntagsausgabe mit großem Erfolg bei Lesern und Kritikern erscheint, immer noch Leute geben, die nichts von meinen freizügigen Worten halten werden. Diskrete Verleumder, die mich fragen werden, ob ich noch genügend extravagante Personen finde, um jede Woche so ausschweifend Seiten zu füllen, oder, viel schlimmer noch, ob ich vorhabe, die Reihe bald zu beenden.
Meine Antwort wird immer unverändert sein.
—Momentan beschränke ich mich darauf über von Rätselliebhabern gut beschriebene Personen zu schreiben —werde ich ihnen erwidern—, wie unseren pittoresken Joan Pich i Pon, Vater der sprachlichen Verwechslungen, oder den absonderlichen Lateinlehrer von Papst Johannes XXIII., Herrn Anacleto Bendazzi. Aber ich habe illustre Unbekannte ausgegraben, die es verdienen zusammen mit den Klassikern in die Ewigkeit einzugehen.
Vielleicht greife ich zu weit voraus und meine Milchmädchenrechnung wird letztendlich nicht aufgehen, aber hier, tief in den Sitz des nagelneuen Geländewagens meiner Mutter gelehnt, den Tomeu fährt, kann ich die ungläubigen Gesichter genau vor mir sehen, die diejenigen aufsetzen werden, die dem Zauber der Worte nichts abgewinnen können, wenn ich ihnen zum Beispiel von einem deutschen Dichter des 18. Jahrhunderts namens Gottlob Burmann erzähle. Burmann hatte eine unverhältnismäßige Angst vor dem Buchstaben R, dass er nur etwa einhundert Leipogramme schrieb, ohne in ihnen auch nur einmal diesen Buchstaben zu verwenden, es gelang ihm sogar, diesen Vibrationslaut über siebzehn Jahre hinweg aus seinen täglichen Gesprächen zu verbannen. Fast zwei Jahrzehnte, in denen er seinen eigenen Nachnamen nicht aussprechen konnte!
Natürlich wurde das R, man weiß nicht warum, schon immer verleumdet, unter anderem von jenen jungen Pariser Revolutionären, welche als die incroyables bekannt sind und die, zur Zeit des Direktoriums, es für sehr unschicklich hielten, die Zunge vibrieren zu lassen, um es auszusprechen. Wenn einer dieser R-Hasser beispielsweise mède sagte, konnte niemand wissen, ob es sich um den Ausdruck für das Exkrement handelte oder ob der Sprecher sich auf einen Bewohner des antiken Persiens bezog.
Der Fall von Burmann hingegen ist faszinierender. Wenn ich sein Porträt schreiben werde, werde ich nicht umhin kommen, ihn mir in ein Missverständnis von Namen verwickelt vorzustellen, wie er außer sich und wutentbrannt immer wiederholt «Buman, Gottlob Buman», mit rotem Gesicht und am Hals hervortretenden Adern. Was für ein außergewöhnlicher Mensch! Ich stelle mir vor, dass ein guter Fotograf ihn visuell gut herausarbeiten könnte, gerade bei einer solchen Grenzerfahrung, in der ich ihn in meinem Porträt beschreiben werde, aber der R-hassende Deutsche ist seit zwei Jahrhunderten tot und vielleicht sollte man seinen Artikel mit einem Bild illustrieren, über das der Dichter mit großer Sicherheit erbost wäre: ein eingekreistes R, wie es im 20. Jahrhundert zum Zeichen für registrierte Handelsmarken geworden ist.
Immer wenn ich mich für die Geschichte einiger dieser Wortmenschen interessiere, schweifen meine Gedanken zu meinem Vater ab. Vielleicht hatte Burmann eine Frau? Vielleicht hatte er Kinder? Löste er wohl die anderen Konflikte in seinem Leben mit der gleichen Entschlossenheit wie die Sache mit dem R?
Die Stimme von Tomeu reißt mich aus meinem Schlaf.
—Wir sind da, Bruderherz —sagt er, der Geländewagen ist schon zum Stehen gekommen.
—Rrrrrrrrrrr! —antworte ich, während ich mich ein bisschen aufrichte, um die Tür zu öffnen.
— Ist dir kalt?
—Ich bin ein bisschen eingenickt.
Ich gebe meiner Mutter einen Kuss und steige aus dem Cherokee aus. Sie haben mich an meiner Straßenecke abgesetzt.
—Ich werd's lesen, diesen Sonntag — sagt meine Mutter, liebenswert wie immer.
(Aus AblanatanalbA, 1999, S. 16-19)
Aus dem Katalanischen übersetzt von Katharina Wieland ©