3. Alemany [Erdachte Briefe]
Erdachte Briefe
In einer besonders schwierigen Phase der Einsamkeit kam ihm die Geschichte von einem Universitätsprofessor in den Sinn, den seine Frau verlassen hatte, und der, niedergedrückt von seinen persönlichen Konflikten und der Beschaffenheit der Welt, die er als chaotisch einschätzte, lange Beschwerdebriefe an die wichtigsten Politiker der Großmächte schrieb.
Briefe, die er sobald er sie ins Kuvert gesteckt hatte, nicht abschickte.
In jener Zeit erhielt er keinerlei andere Post als Werbeprospekte, Verwaltungskram, Einladungen zu Veranstaltungen, an denen er nicht teilnehmen wollte, oder dringend zu bezahlende Rechnungen.
Fast der ganze Papierkram landete direkt im Müll. Es kam ihm auch niemand in den Sinn, dem er persönliche Briefe schreiben könnte.
Monate seines Lebens hätte er dafür gegeben, Liebesbriefe mit einem jungen Mädchen auszutauschen, die ihn verjüngen würde.
Er hatte von den guten Zeiten Abschied genommen. In einer schlaflosen Nacht jedoch, in der er sich ein zweites Glas Wein eingeschenkt hatte und vor dem Fernseher mit ausgeschaltetem Ton eine Zigarette rauchte, dachte er sich den ersten Brief ohne Empfänger aus.
Er verfasste ihn ohne Papier, Kugelschreiber, Füllfeder, Computer oder Schreibmaschine. Die Phantasie ist frei und stellte also keinerlei wie auch immer geartete Höflichkeitsformeln oder Vernunftgründe in den Weg.
Sie erlaubte es ihm, seinen Gedanken freien Lauf zu lassen und alles auszudrücken, was ihm gerade in den Sinn kam.
Die Nacht verging im Nu, und er fühlte sich höchstbefriedigt, nachdem er den Mut aufgebracht hatte, eine wahrhaftige Liebeserklärung an ein umwerfend schönes Model zu richten, das sich vor zwanzig Jahren auf diversen Laufstegen einen Namen gemacht hatte.
Danach schloss er entspannt die Augen, so als hätte er diesen formvollendeten Körper eine Weile lang in seinen Armen gehalten. Und der ersehnte Schlaf stellte sich ein.
Also machte er es sich zur Gewohnheit. Er schlief erst ein, wenn er einen imaginären Brief verfasst hatte, dessen Beschaffenheit und Intensität seinem Gemütszustand entsprach.
Er schrieb unerhört romantische, an die Grenze des Kitsch reichende Briefe. Andere wieder gerieten inbrünstig, weil sie die Glut seiner durch lange Abstinenz gequälten Genitalien kanalisierten.
Manchmal waren die Briefe betrübt oder von Melancholie durchdrungen, wenn er nämlich beschloss, sich mit der Vorstellung zu bestrafen, ein überaus hingebungsvoller Liebhaber zu sein, dessen Liebe nicht entsprechend erwidert wird. In solchen ruhelosen Nächten musste er auf die Terrasse hinausgehen. Kalte Luft schlug ihm entgegen. Er ging erst wieder nach drinnen, wenn er unter Frostschüben aufhörte, Eifersucht zu empfinden.
Durch die Übung beherrschte er allmählich die Briefschreibetechnik. Fast automatisch spezifizierte er seine Liebesbriefe. Um es einfach zu sagen, adressierte er sie an zufällig ausgewählte Frauen. Wie zum Beispiel Filmstars, Fernsehpräsentatorinnen oder regelmäßig auf dem Cover der Regenbogenpresse und im Inneren der Zeitschriften nackt abgebildeten Berühmtheiten; auch an manche Frauen, denen er auf der Strasse begegnete und durch ihre Attraktivität seine Aufmerksamkeit erregten, eine erotische Ausstrahlung oder bloß üppige Brüste, lange Beine, schlanke Fesseln hatten und beim Gehen so mit den Hüften wippte, dass er sich unwillkürlich umdrehen musste und ihn ein Schauer der Geilheit überkam.
Er machte sein Gehirn zu einem reichhaltigen Archiv von Frauenbildern. Dadurch konnte er zu einem Meister der Liebesbriefe aufsteigen, der oft, wenn er sich seinen Instinkten hingab, pornografisch wurde.
Das bereute er aber überhaupt nicht. Im Gegenteil, er fühlte sich sogar bestärkt. Er erlebte zumindest ein vorgegebenes Glücksgefühl.
Die unerwartete Ergänzung erreichte ihn in Form eines Briefes, der eines Tages im Briefkasten landete. Der Schriftzug auf dem Umschlag schien der einer Frau zu sein. Als er ihn zögernd öffnete, bestätigte sich seine Annahme. Eine auf Anonymität bedachte Frau, teilte ihm mit, dass sie ihn ebenfalls liebte.
(Biografia, 2005)
Aus dem Katalanischen übersetzt von Theres Moser ©