Autors i Autores

Gabriel Janer Manila

3. Alemany

Nie wieder war mir ein Winter so lang vorgekommen. Die Tage waren alle gleich und eintönig. Die Atmosphäre war unveränderlich monoton. Von meinem Balkon aus betrachtete ich immer wieder das gleiche, abwechslungslose Bild. In jenem Winter hatte es sehr stark geschneit in der Stadt. Niemand konnte sich an derartige Schneefälle erinnern, denn der Schnee bedeckte sogar die Straßen völlig und blieb auch am Strand liegen. Der Klosterfriedhof, die Dächer, eine Palme: Alles war plötzlich viel heller, ergraut, sozusagen. Unser Vater beschwor uns, die Augen an jenem Tag weit offen zu halten, denn es würde sicher viele Jahre dauern, bis wir wieder die Straßen so voller Schnee sehen könnten. Mein Bruder Joan hatte sich in den Kopf gesetzt, einen kleinen Ausflug in den Pinienwald am Stadtrand zu machen, denn von dort könnten wir, so versicherte er uns, die ganze Stadt unter ihrer Schneehaube sehen. Wir zogen sofort nach dem Mittagessen los, damit uns nicht die einbrechende Dunkelheit auf dem Heimweg überraschte. Mit der Straßenbahn erreichten wir den Fuß des Hügels, gleich nachdem wir die letzten Häuser hinter uns gelassen hatten. Dann stiegen wir über die verschneiten Wege zum höchsten Punkt hinauf. Wir hatten alle schulfrei bekommen und waren daher eine ganze Gruppe von jungen Leuten. An jedem Nachmittag unterhielt ich mich zum ersten Mal mit Andreu. Er hatte eine Kamera dabei und machte unaufhörlich Fotos von mir, weil ihm, wie er sagte, der Kontrast meines Kleides, schwarz wie ein Trauerkleid, mit der weiß verschneiten Landschaft gefiel. Einer sagte zu ihm, als wollte er sich über sein Verhalten lustig machen:
- Sie gefällt dir wohl, die Teresa?
Ich wurde verlegen. Er antwortete, ein bisschen überrascht von der Frage:
– Natürlich gefällt sie mir.
Die anderen aber fügten hinzu, und wollten gar nicht mehr damit aufhören:
– Habt ihr das gehört? Andreu ist verliebt in Teresa.
Er lachte, während er erneut Fotos schoss; ich aber blickte weg, aus Verlegenheit. Die anderen fuhren fort:
– Aber Teresa ist doch noch ein Kind...
Es schien, als ob Andreu nicht bemerkte, wie weh mir diese Worte taten. Beinahe wäre ich in Tränen ausgebrochen. Ich weiß nicht, ob er sich, beim Blicken durch den Sucher seiner Kamera, angesichts meine Gefühlsregungen ängstigte; aber er kam jedenfalls zu mir, um mir, ganz heimlich, etwas zu sagen:
–Wenn man die Farben fotografieren könnte, hättest du ein ganz rotes Gesicht auf den Bildern. Warum denn?
–Warum? Ich weiß nicht –antwortete ich, wobei meine Augen Funken sprühten–. Vielleicht ist es wegen der Kälte, dass mir die Farbe ins Gesicht steigt.
Wir hatten gerade mit dem Rückweg begonnen, als es wieder zu schneien begann. Die Flocken fielen seltsam dicht und wurden vom Wind herumgewirbelt. Wir fingen an zu rennen. Die Pinien schienen immer dichter zu stehen, der Wald wurde immer dunkler, dann plötzlich eine Lichtung. Ich geriet auf dem vom Schnee vereisten Weg ins Schlittern und fiel hin. Alle lachten. Andreu nutze den Moment, um die letzten Fotos von mir an diesem Nachmittag zu machen, belustigt darüber, dass ich längs im Schnee lag. Dann half er mir, mich wieder aufzurichten und lächelte dabei. Sein Lächeln war, trotz der beißenden Kälte jenes Winters, wie ein Hauch von Frühling.


Später, in der Straßenbahn auf dem Weg nach Hause, sagte mir einer, dass ein Foto wie eine Streicheleinheit ist, die Andreu durch seine Kamera mir in aller Stille hat zukommen lassen, ganz langsam, in jeden Winkel des Körpers hinein, wie jemand, der eine ihm noch unbekannte Landschaft erkundet. Diese Worte lösten in mir in der Nacht gewisse angenehme Gedanken aus, die in mir eine bisher unbekannte Lust weckten. Wenn die Kamera es möglich machte, die Personen vor dem Objektiv auszuziehen –dachte ich–, dann sieht das Auge durch die Kleidung hindurch. Vielleicht hatte es Andreu gefallen, dass die Kamera dieses Wunder vollführt hatte, die Kleidungsstücke, die meinen Körper bedeckten, zu entfernen. Oder vielleicht brauchte der Glückliche auch gar keine Kamera, weil er auch so fähig dazu war die Frau, die ihm gefiel, mit seinen bloßen Augen zu entkleiden. Sein Blick war so durchdringend, dass er ihn hinter einer Kamera verstecken musste, um nicht unanständig zu wirken. Trotz des Schnees gab es keine Kälte auf der Bühne seiner Phantasie, der nackte Körper, mit seiner bleichen Haut wie auf einem Schwarzweißfoto. Ich fühlte sie auf meiner Haut, diese Augen. Sie waren zärtlich, fast weich. Ich spürte die ganze Nacht hindurch ihre Zärtlichkeiten und war mir des großen Glücks bewusst, dass sie mich hatte finden lassen: sie besaßen eine komplizierte, fast unanständige Unruhe, die mich stärkte. Nie war ich mir so sicher gewesen wie in jener Nacht –glücklicherweise haben die Augen mich noch viele Nächte begleitet, bis zu jenem Tag, an dem ich sie, nach so vielen Jahren in ihrem Zauberbann, gewaltsam aus meinen Träumen riss–, nie hatte ich so intensiv an die Liebe geglaubt, unbescholten wie ich war. Ich hatte mich in Andreu verliebt, völlig blind, in nur wenigen Stunden. Ich war wütend über diejenigen, die sagten, ich sei noch ein Kind, und hätte ihnen gerne den Mund gewaltsam zugehalten, um sie sofort zum Schweigen zu bringen, damit niemand mitbekam, was sie sagten. Ich wollte vor allem nicht, dass Andreu sie hörte, jene Worte. Und ich dachte, dass sie sie ausgesprochen hatten in der Absicht, ihn von mir abzubringen, weil nämlich seine exzessive Aufmerksamkeit als Fotograf, mit der er sich mir den ganzen Nachmittag über gewidmet hatte – bis die Abenddämmerung über den verschneiten Wipfeln hereingebrochen war– bei einigen unserer Kameradinnen, die mit auf den Ausflug in den Pinienwald gekommen waren, unter dem Vorwand, die verschneite Stadt sehen zu wollen, eine gewisse Eifersucht hervorgerufen hatte. Nur einige Stunden hatten ausgereicht. Ich konnte Andreus Bild nicht aus meinem Kopf verbannen, die ganze Nacht hindurch nicht. Es war eine kalte Nacht, vielleicht die kälteste des ganzen Winters. Unter meiner Decke nahm ich wahr, wie die klirrende Kälte sich hart auf den völlig vereisten Dächern niederließ. Dann machten sich Hände –ich träumte es wären seine Hände– auf Entdeckungsreise auf der Landkarte meiner Haut und ließen mich die Zärtlichkeit imaginärer Streicheleinheiten spüren. Es war dennoch angenehm die Kälte zu fühlen und gleichzeitig die Nähe von Händen wahrzunehmen –die zarten Berührungen der Fingerspitzen, die Weichheit der Handfläche– die meinen Körper entlang fuhren. Ich spürte wie es immer mehr wurden. Es waren Tausende, das ganze Bett voller Hände, aber ich hatte keine Angst. Sie berührten ganz sanft meine Brüste, die Knie, die Oberschenkel... Auf mir sprossen Orchideen.

(Aus Paradís d'orquídees, 2004)

Aus dem Katalanischen übersetzt von Katharina Wieland ©




Amb el suport de:

Institut d'Estudis Baleàrics