3. Alemany
Der Tod beibt stehen über mir;
er schreckt mich nicht, gehört vielmehr
zu den lästigen Dingen.
Und es rinnt das überschüssige Leben
vieler Stunden die Uferböschung hinab,
und es wächst der Tod in den Bäumen,
die im eigenen Haus überleben.
Es hallt in meinem Kopf die pflanzliche Dimension
der Zeit, die ich nicht erlebe
und die nicht für uns geschrieben wird:
die Zeit der Schildkröten
und der Bibliophilen.
(Aus: L'infant i la mort [Das Kind und der Tod], 1989.)
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Postskriptum
Ich werde mein Buch verstecken
und das Unglück, nicht mehr als das Leben
gehabt zu haben zum Schreiben.
Denn ich wollte...Alles.
(Aus: Els ulls [Die Augen], 1995)
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Gebet eines Agnostikers
Leck mich wie eine Flamme
aus dem offenen Feuer so vieler Lieben,
die ich nicht in Dir wiedergefunden habe, sondern in Wunden.
Lass das Herz sprechen.
Mach aus mir Stille.
(Aus: Els ulls [Die Augen], 1995)
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Anche tu sei l'amore*
Guardi come qui attende
e non vede. Sei terra
che dolora e che tace.
C. PAVESE
Glaubst du, dass du ermattest
auf dem Seitenweg?
Glaubst du, dass wir irgendwann
nicht mehr warten
wie die verliebte Frau
jenen Brief erwartet, der
das Blumengewinde in einem Garten ist?
Glaubst du, dass wir noch länger
das Gewicht des Schlamms tragen,
der an den Füße saugt,
während der Regen die Toten ausgräbt?
Gib mir ein Antlitz,
ein Antlitz, das nicht verlassen ist.
*Auch du bist die Liebe
Du blickst wie einer der wartet
und nicht sieht. Du bist Erde
die Schmerz fühlt und schweigt.
C. PAVESE
(Aus: Paisatge emergent. Trenta poetes catalanes del segle XX [Auftauchende Landschaft. Dreißig katalanische Dichterinnen des 20. Jahrhunderts], 1999)
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Alforja¹
Die Liebe ist eine Unterhaltung mit den Göttern
im schattigen Paradies von Beeren und Apfelbäumen,
wo die feuchten Gerüche alter Monde
von den Hängen herüberwehen
- tropfender Lufthauch von nassen Ästen -
ohne Staub noch Spuren
nicht in der Zeit, nicht in der Zeit.
[¹Alforja ist ein alter, von Bergen umgebener Ort im "Baix Camp", an der nordwestlichen Grenze des Landkreises Tarragona. Durch ihn fließt der gleichnamige Bach]
(Aus: Paisatge emergent. Trenta poetes catalanes del segle XX [Auftauchende Landschaft. Dreißig katalanische Dichterinnen des 20. Jahrhunderts], 1999)
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Puschkin und Leopardi
Puschkin habe ich kennengelernt bei Nacht
schmerzgekrümmt an seinem Tisch sitzend
in Gedanken bei Tod und Gefängnis in Sibirien
seiner Freunde die so zerbrechlich waren wie er selbst
ich habe ihn kennengelernt als die Stimme ihn trug
rettungslos ohne jegliche Hoffnung
und nur der Wiedehopf ihn zerstreute
angesichts des Waldes den er sich frei dachte
ich habe ihn kennengelernt als ich glaubte jenen Anderen
gut zu kennen der wie er starb
an irgendeinem Tag des Jahrs 37 vor genau zwei Jahrhunderten
und mir gefällt die Vorstellung dass sie zusammen atmeten
an entgegengesetzten Orten Europas
ertrugen sie das Unglück des Buckligen.
(Aus: Entre dues espases [Zwischen zwei Schwertern], 2004)
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VIII
Ich habe die Augen mit jenem Lidschlag des Kindes geschlossen, das nicht schlafen wollte und schon träumt.
Ich bin in der Mitte eines verschlossenen Zimmers, sitze auf einem Stuhl, erschlagen
von der Müdigkeit, die mir die gleichzeitig aus den Lautsprechern strömenden Stimmen verursachen, es sind vier, einer in jeder Ecke der Wände, die ein Rechteck bilden. Aus einem der Lautsprecher raunt Heidegger seine Erklärungen über das Wesen der Dichtung, seine Stimme wird immer belegter, aber er trägt sehr gut die Verse Hölderlins vor und wieder einmal erinnere ich, erinnere ich, erinnere ich. Aus dem anderen Lautsprecher kommt ein Gemisch von Tönen, die es mir unmöglich machen, Wörter zu unterscheiden, es klingt wie eine Mischung aus Französisch und Argentinisch, irgendetwas über den “unmöglichen Austausch”. Der dritte Lautsprecher gibt die Tagesnachrichten von sich, immer dieselben Nachrichten, den ganzen Tag lang; und der vierte rauscht, es ist der Lautsprecher des Aufpassers, der heute Wachdienst hat und die anderen Lautspecher anstellt. Ich bin eingeschlossen und kann nicht heraus. Aber ich entkomme dorthin
dieses Meer von derselben Farbe wie das liebenswert blaue Meer bei Tarragona, eine Helligkeit der Ruhe und von fern die Anstrengung an den Strand zu kommen und zu schwimmen, zu schwimmen bis zur Landzunge, die man das Horn des Wunders nennt.
(Aus: Entre dues espases [Zwischen zwei Schwertern], 2004)
Aus dem Katalanischen übersetzt von Claudia Kalász ©