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Llorenç Moyà Gilabert
1916-1981

3. Alemany

II

Ich meine den großen Gemeinplatz. Wir
sind es, die vergehen. Die Zeit vergeht nicht!
Aber sie entschlüpft uns, lässt sich nicht fassen,
ob sie nun bitter ist oder süß, ob man sie besänftigt
oder beleidigt und ihr seine ganze üble
Laune ins Gesicht speit. Hart ist die Zeit,
sie atmet ruhig und du hältst dich an sie
- du hältst dich an die Liebe, an das Wort, das du magst -,
denn sie scheint dir weich und fügsam wie Wolle,
und du lächelst und reichst ihr deine warme Hand,
um ihr alles von dir zu geben, während du denkst:
“Welch glücklicher Augenblick. Das Leben ist schön;
schicken wir die Jammerer in ihren Schatten,
damit ihr ewiges Heulen uns nicht
die tägliche Lust vergiftet!” Doch zugleich
fühlst du, wie dein Puls schlägt und jeder Schlag
ist ein Nagel, der dir seine Kanten
in Haut und Geist eingräbt. Mein Kugelschreiber
beginnt, seine Beschwerden auszuschütten,
und es atmete jemand, der zu diesem Zeitpunkt
schon ein Leichnam ist, von anderen beweint
oder bitter beschimpft, weil er ihnen
keinen roten Heller, nicht einmal genug zum Sterben hinterließ...
Mehr noch: wir alle sind ein Bild
der Zeit. In Strümpfen aus blauem Fleisch
fließt das Blut. Könntet ihr es aufhalten,
ihr zornigen Hände? Sein Strom fließt jeden Tag
durch dasselbe Bett und umspült
die Kiesel von früher. Nur wenn er versiegt,
der rote Fluss, wenn kein Mensch mehr
übrig ist auf der Welt, dann wird das schwarze Maul
des Chaos vom Triumph des Menschen singen,
der es verstanden hat, die Zeit zu erwürgen. Plötzlich
steht Telemos auf wie ein Stier, mit Hörnern
von Licht und Leidenschaft und singt für mich
mit seiner Stimme aus gebranntem Ton,
diesem, der für die Gräber gebrannt ist:
“Manchmal willst du dein Blut nutzen
und sagst dir, ‘noch komme ich rechtzeitig’. Du möchtest
in Liebe schmelzen. Liebe heißt, den Strom
abstecken, und dich fixiert schon Odysseus
mit glühendem Stecken. Du bildest schon
den Schrei, den du ausstößt, wenn deine Pupille
bis zur Wurzel brennt. Such dir beizeiten
einen Blindenhund, der dich leitet in der Dunkelheit.”

          B. 11. August 1962

(Aus: Polifem [Polyphem], 1981)

* * *

Die Bruderschaften

Die helle Freiheit war euer Begehren!
Großartige Schlacke, Stütze in der Not
für unser Volk: Würfel, die glücksergeben
fielen von kühler Hand im Morgenrot.

Summender Schwarm voll Kampflust sich zu wehren,
wenn Unrecht ihr getan, zu Unrecht ihr verlort,
auch so konntet ihr niemals mehr verlieren
die ewige Freiheit, die euch gab der Tod.

Und eure Freiheit konnt’ nicht untergehen,
wie angeborner Wahn bleibt sie bestehen,
weder vom Galgen noch vom Blut kuriert.

Steh also wieder auf, oh alte Kühnheit,
denn wenn’s an uns ist, wollen wir im Streit
den Baum selbst wählen, der uns stranguliert.

(Aus: Illa [Insel], 1973)

* * *

Ungereimtheit

Wer hat gezählt auf mich, dass ich geboren?
Die Frage - vielmals schon gestellt -
heute mit Sorge mich befällt
und Süße hat der Bissen nun verloren,

den ich als kleines Almosen erkoren,
wo mich bescheidnes Dasein hingestellt.
Sagt nicht, dass Leben einen Zweck enthält,
es sei mit einem Ziel sinnvoll verworren,

dass im Geröll eine Rose allein...
Täuscht mich die Freude nicht mit Trunkenheit
nach einem Schluck von ihrem Spötterwein,

so sagt sie flüsternd mir ins Ohr die Wahrheit:
“Der Tod kann und will nicht erklärbar sein.
Das Leben selbst ist eine Ungereimtheit.”

(Aus: Illa [Insel], 1973)

* * *

          XIII

Vergessens Pein, begraben hast du mich
tief unter einer Schicht härtester Steine
als lägen hier des Lazarus Gebeine.
Aber in meiner Brust brennt innerlich

ein Funke und erwartet sehnsüchtig
den Finger, der verfaultem Körper seine
Vergängnis zeigt und so dem Fleisch das reine
Licht ewigen Geistes gibt, das ihm gebricht.

Ein Geist, der schützend über zwei sich legt,
die Körper von derselben Größe haben.
Und so wie wenn der Mensch, der fleht

um großen Beistand, Hilfe auch ersteht,
wenn weiser Mund ihn ruft um ihn zu laben,
sind's Liebesworte, die mir Leben gaben.

(Aus: Presidi major [Verschärfte Haft], 1974)

* * *

          IX

So stark, oh Liebe, hältst du mich in Bann,
dass ich gefangen bin von vielen Seiten,
übst Herrschaft über mich zu allen Zeiten,
dass ich kein Winkelchen mehr finden kann

zu machen, was ich will. Ja, deinem Plan
gehorchen auch Verstand und Wahn und leiten
dich an, mir rohe Qualen zu bereiten,
mit Eisenreifen furchst du deinen Mann.

Kein Wespenstachel hat mich je verletzt
und keine Sonne mich wie du geblendet.
Vor dir, Amor, bin nackt ich und es endet

mein Wille, der dir nichts entgegensetzt.
Mein kleidlos Fleisch befiehlt mir liebgeschändet,
dass meine Seele sich dir nackt zuwendet.

(Aus: Presidi major [Verschärfte Haft], 1974)

Übersetzung aus dem Katalanischen von Claudia Kalász ©

Amb el suport de:

Institut d'Estudis Baleàrics