3. Alemany
Die Toten begraben
Nach den Beileidsbekundungen am Kirchenportal begaben wir Männer der Familie uns auf den Friedhof. Die Großmutter vorne weg im Leichenwagen, über und über bedeckt mit Blumen und schwarzem Trauerflor, der im Wind flatterte, so dass man ab und an die darauf genähten versilberten Schriftzüge im Wind lesen konnte. Dahinter kamen, in drei oder vier Wagen, meine Brüder und ich, meine Cousins, meine Onkel und der Mann einer Nichte meiner Großmutter, der den ganzen Weg über unaufhörlich hustete. Dem Trauergottesdienst hatten Verwandte und Freunde meiner Eltern und unsere Freunde beigewohnt, von denen einige meine Großmutter sehr schätzten und sich oft lange mir ihr unterhalten hatten, wenn sei bei uns vorbeigekommen oder zum Essen eingeladen waren. Außerdem waren auch Freunde meines Großvaters da, wenige, denn viele gingen nicht mehr aus dem Haus und die meisten waren ohnehin bereits in den letzten Jahren einer nach dem anderen verstorben.
Meine Großmutter hatte ein gesegnetes Alter erreicht und war gestorben, ohne an irgendeiner Krankheit gelitten zu haben. Sie hatte bis an ihr Ende ein starkes Herz, die Leber funktionierte prächtig, auch Magenbeschwerden hatte sie keine. Die Beine.., die Beine waren das einzige, was sie plagte. Aber an schwachen Beinen ist noch keiner gestorben. Sie starb an nichts Bestimmten, sie war einfach alt und müde und wollte ihrem Mann, meinem Großvater, der gestorben war, als mein Vater noch nicht einmal seinen zweiten Geburtstag gefeiert hatte, endlich Gesellschaft leisten.
Zwischen dem Tod meiner Großmutter und dem ihres Mannes lagen fünfzig Jahre. Fünfzig Jahre lang hatte sie die Erinnerung an ihren jungen Gatten bewahrt, der überraschend einen Herzinfarkt erlitten hatte und in ihren Armen gestorben war, während er unter dem Johannisbrotbaum schaukelte, auf dem Bauernhof, den er gerade erst von seinem Vater geerbt hatte. Fünfzig Jahre lang dachte sie immer wieder an ihn, sprach von ihm, idealisierte ihn, hatte ihn stets vor Augen, zu Hause und bei allem, was sie tat. Er war sehr groß, sagte sie, sah gut aus, ernst, aber auch freundlich, so vornehm, der mit den besten Manieren in der ganzen Familie; neben ihm war Eustaqui der reinste Bauerntölpel. Hübsch anzusehen und ordentlich, immer gepflegt. Er war zu jeder Gelegenheit passend gekleidet; dabei von einer natürlichen Eleganz, die nie protzig wirkte. Er war weder eitel noch eingebildet, verstand es jedoch, die Form zu wahren, was Kleidung, aber auch sonstige Dinge im Leben betraf.
Auf dem Nachttisch meiner Großmutter stand ihr Hochzeitsbild. Er, in schwarz mit einer Anzugsjacke aus, wie sie betonte, sehr weicher und sehr feiner englischer Wolle, die gut wärmte und kaum etwas wog. Das Hemd mit dem Spitzen am Kragen, die perfekte gleichseitige Dreiecke bildeten. Wir haben das Brustteil des Anzugs ins London gekauft, erzählte sie, aus Zelluloid, man konnte es waschen und es blieb immer so glatt, wie gestärkt, besser noch als gestärkt.
Sie in einem Organdykleid, weiß natürlich, mit einer langen Schleppe, die der Photograph ihr um die Füße drapiert hatte, wie einen geöffneten Fächer. In ihrer rechten Hand hielt sie einen Strauß weißer Lilien, der zu den kleinen Bändern aus reinweißer Seide passte. Sie sahen prächtig aus und ihr leicht verwunderter Gesichtsausdruck ließ sie noch schöner erscheinen.
Mein Großvater war in seinem Hochzeitsanzug begraben worden, den er nur ein einziges Mal hatte tragen können. Nun trug er ihn für die Ewigkeit. So hatte es meine Großmutter gewollt. Begraben Sei ihn in seinem Hochzeitsanzug, und mich später einmal in meinem Brautkleid. So habe ich das beschlossen, als ich die Leiche deines Großvaters wusch und anzog. Mit Schleier und Schleppe und dem weißen Lilienstrauß, den ich ganz oben im Kleiderschrank aufbewahre.
Es war ein Kleiderschrank aus dunklem Mahagoniholz, so hoch wie ein Kirchturm, mit einem abgeschrägten Spiegel, der mir immer riesig vorgekommen war und den am oberen Rand phantasievolle, unbeschreibliche Zacken abschlossen. Dort bewahrte sie ihr Brautkleid auf, den Schleier, die Unterröcke, die Schuhe, die Seidenstrümpfe, die Spitzen, das Satin, die Bänder, den Schmuck, einfach und wunderschön, den sie an ihrem Hochzeitstag getragen hatte. Ich glaube, dass meine Großmutter, die Bücher liebte, Great Expectations von Charles Dickens gelesen hatte, denn sie erinnerte mich immer an die unglückselige Miss Havisham, die, als sie schon alt war, immer noch in ihrem Brautkleid auf das Kommen ihres Verlobten wartete, der nicht zur Hochzeit erschienen war.
Das Wetter war schön. Die Frühlingssonne schien auf das saftige Grün der Zypressen herab. Wir Enkel trugen den Sarg der Großmutter auf den Schultern zur Familiengruft: ein Mausoleum, das unser Urgroßvater erworben hatte, damit die ganze Familie unter einem Dach ruhen solle. Von einem eisernen Tor, mit der Form eines Eucharistiekelches verziert, ging es in einen kleinen, von einem Altar überragten Saal; unter dem Altar lag mein Großvater begraben, auf dem Grabstein standen sein Name, sein Geburtdatum und sein Todestag, daneben Raum für de Namen und die Daten seiner Gattin. Von dem Saal aus führte ein verschlossenes Gitter mit den gleichen Ornamentmotiven wie am Eingang zur Krypta, wo die übrigen Mitglieder der Familie ruhten.
Wir stellten Großmutters Sarg auf eine der Bänke an den Seitenwänden der Kapelle, während der Totengräber ganz akkurat den Grabstein anhob, welcher die Grabnische bedeckte, in der der Leichnam meines Großvaters lag. Der Sarg war noch intakt. Er war von einer dicken Schicht sehr feinen Staubs bedeckt, der das Kruzifix auf dem Deckel vorsichtig umhüllte und seine ungefähren Formen nur erahnen ließ. Zwei Männer zogen den schweren Sarg heraus, der mehr als fünfzig Jahre von schweren Marmor des Grabsteins eingeschlossen war; mit einem Tuch wischten sie den Staub ab und öffneten die Riegel, welche den schweren Deckel des Sarges hermetisch verschlossen.
Der Leichnam meines Großvaters, den ich nicht gekannt habe, war noch vollständig erhalten. Trotz der Jahre, die seit seinem Tod vergangen waren, war seine Jugend erhalten geblieben. Er war eigentlich immer noch ein junger Mann von sechsundzwanzig Jahren, verschrumpelt und durchscheinend, mit einer kleinen Nase und schmalen Lippen, alles bedeckt von noch feinerem und fester anhaftendem Staub, als der, der den Sarg bedeckte. Er war in weiß gekleidet, ohne Strümpfe, mit weißen maßgeschneiderten Hosen, mit dem in London gekauften Brustteil aus Zelluloid und dem Plastron aus grauer Seide. Er trug nicht den Anzug aus englischer Wolle, den ihm meine Großmutter angezogen und mit dem sie ihn immer seit seinem Tod vor sich gesehen hatte. Die Motten, die sich in der Wolle eingenistet hatten, hatten den Anzugstoff zerfressen und so meinen Großvater entkleidet und zeigten ihn uns, zu unserer großen Verblüffung, in seinen einfachen Baumwollunterhosen.
Aus des Katalanischen übersetzt von Katharina Wieland ©